Die Auswirkungen der Rückführungs-Richtlinie auf das Absehen vom Strafvollzug
Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 18.02.2015, BMJ-S884.043/0002-IV 3/2014, über die Entscheidung des EuGH vom 19.09.2013 in der Rechtssache Filev und Osmani, C-297/12 – Auswirkungen auf Entscheidungen nach § 133a Abs 1 StVG
Die Rückführungs-RL wurde von Österreich durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011) umgesetzt, welches am 01.07.2011 in Kraft getreten ist. Die Umsetzung war folglich ebenso verspätet wie jene der Bundesrepublik Deutschland im Anlassfall.
Dies bedeutet für die österreichische Rechtslage im Zusammenhang mit vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassenen unbefristeten Aufenthalts- und Rückkehrverboten Folgendes:
Für den Zeitraum zwischen Ablauf der Umsetzungsfrist der Rückführungs-RL bis zum Inkrafttreten des FrÄG 2011 war die Rückführungs-RL in Österreich unmittelbar anwendbar. Daher dürfen die Wirkungen unbefristeter Aufenthalts- oder Rückkehrverbote, die vor dem 01.07.2011 erlassen wurden, über die in der Rückführungs-RL vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinaus nicht aufrechterhalten werden.
Durch die verspätete Umsetzung in die österreichische Rechtsordnung ist eine rückwirkende Normierung der Weitergeltung von an sich vor der tatsächlichen Umsetzung erlassenen (auch unbefristeten) Einreiseverboten über die Höchstdauer von fünf Jahren hinaus nicht möglich, weil die Betroffenen durch die verspätete Umsetzung mit Ablauf der Umsetzungsfrist eine Rechtsstellung erlangten, die ihnen rückwirkend nicht mehr aberkannt werden kann.
Entscheidungen über das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a Abs 1 StVG nehmen auf Einreise- oder Aufenthaltsverbote Bezug, über die in erster Instanz das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu entscheiden hat.
Nach § 133a Abs 1 StVG kommt für eine verurteilte Person ein Absehen vom Strafvollzug in Betracht, wenn
1. gegen sie ein Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot besteht,
2. sie sich bereit erklärt, ihrer Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat (§ 2 Abs. 1 Z 17 AsylG) unverzüglich nachzukommen, und zu erwarten ist, dass sie dieser Verpflichtung auch nachkommen wird, und
3. der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen.
Es kommt demnach nicht darauf an, aus welchem Grund das Einreiseverbot besteht.
§ 133a Abs 5 letzter Satz StVG regelt weiters: „Kommt der Verurteilte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder kehrt er während der Dauer des Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes in das Bundesgebiet zurück, so ist er von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wieder in Haft zu nehmen und in die nächstgelegene Justizanstalt zu überstellen.“
Da zentral nicht erhoben werden kann, in wie vielen Fällen der Entscheidung über das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a Abs 1 StVG ein Einreiseverbot mit einer Höchstdauer von mehr als fünf Jahren zugrunde liegt, wird empfohlen, eine Überprüfung der Entscheidungen durchzuführen und gegebenenfalls das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Hinweis auf die Entscheidung des EuGH und der auch in Österreich verspätet vorgenommenen Umsetzung der Rückführungs-RL zu verständigen.
Sollte eine Änderung des Bescheids/Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens nicht möglich sein, wird – vorbehaltlich der unabhängigen Rechtsprechung – angeregt, die zugrundeliegende Freiheitsstrafe im Hinblick auf die zitierte Entscheidung des EuGH in europarechtskonformer Auslegung des § 133a Abs 6 StVG als vollzogen zu erachten. Auf die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art 267 AEUV wird ausdrücklich hingewiesen.
Zum Zweck der Überprüfung ist als Anhang eine Auswertung aus der VJ angeschlossen, aus der sich sämtliche Entscheidungen über das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a Abs 1 StVG seit dessen Inkrafttreten am 01.01.2008 bis zum Inkrafttreten des FrÄG 2011 am 01.07.2011 ergeben.