Erweiterung des Rechtsschutzes für Beschuldigte und Nicht-Beschuldigte bei Akteneinsicht, Beiziehung von Dolmetschern, Beweisanträgen.
Der Anlassfall 14 Os 60/09v ua: Die Beschwerdeführerin wurde am 03.12.2008 gemäß § 170 Abs 1 Z 1 iVm § 171 Abs 2 Z 1 StPO kriminalpolizeilich festgenommen und am darauf folgenden Tag über Verfügung der Staatsanwaltschaft aus der Haft entlassen.
Im hierauf wegen des Verdachts der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes eingeleiteten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren erhob die Beschuldigte gegen ihre Festnahme gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO Einspruch wegen Rechtsverletzung, dem das Landesgericht Linz mit Beschluss vom 04.03.2009 nicht stattgab. Der dagegen erhobenen Beschwerde folgte das Oberlandesgericht Linz am 16.04.2009 nicht.
Dagegen wurde Grundrechtsbeschwerde erhoben: Soweit sich die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten gegen die Festnahme sowie den Beschluss des Landesgerichts wendete, war sie unzulässig, weil die Beschwerde gemäß § 1 Abs 1 GRBG nur nach Erschöpfung des Instanzenzugs und solcherart im Fall eines solchen nur gegen die Rechtsmittelentscheidung, die ihrerseits keinem weiteren Rechtszug unterliegt, nicht jedoch gegen Entscheidungen der Vorinstanzen zusteht.
In Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 16.04.2009 war die Grundrechtsbeschwerde zwar zulässig, aber verfehlt:
Prozessgegenstand jeder richterlichen Haftprüfung durch ein dem Obersten Gerichtshof untergeordnetes Strafgericht (auch infolge eines Antrags nach § 175 Abs 5 [vormals § 193 Abs 5 erster Satz] StPO) ist die Einhaltung aller haftrelevanten Vorschriften. Eine Grundrechtsverletzung iS des § 1 Abs 1 GRBG liegt somit stets dann vor, wenn eine haftrelevante Vorschrift in letzter Instanz missachtet oder deren Missachtung durch eine Unterinstanz nicht festgestellt und bereinigt, erforderlichenfalls ausgeglichen worden ist. Da Art 5 Abs 1 MRK den Freiheitsentzug überhaupt nur „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“ zulässt, schlagen insoweit Verletzungen einfachgesetzlicher Vorschriften nämlich direkt auf das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit durch.
Gerichtliche Feststellung und Bereinigung, wie hier behauptet, durch die Kriminalpolizei (§ 18 StPO) ohne staatsanwaltliche Anordnung begangener Verletzungen des Art 5 MRK wird seit 01.01.2008 bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens über Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ermöglicht. Die Staatsanwaltschaft kann einem darauf gerichteten Begehren nicht iS des § 107 Abs 1 vierter Satz StPO entsprechen, sodass das Gericht über einen solchen Einspruch stets in der Sache zu entscheiden hat. Nach Ausschöpfung des durch § 107 Abs 3 erster Satz StPO eröffneten Instanzenzugs kann beim Obersten Gerichtshof geltend gemacht werden, dass die Anerkennung und der allenfalls mögliche Ausgleich einer durch die Kriminalpolizei geschehenen Grundrechtsverletzung unterblieben ist; im Fall des Art 5 MRK mit Grundrechtsbeschwerde (§ 1 Abs 1 GRBG), sonst mit Erneuerungsantrag ohne vorherige Anrufung des EGMR. Lehnt das Oberlandesgericht die Behandlung einer Beschwerde gegen das Unterbleiben von Anerkennung und möglichem Ausgleich der Grundrechtsbeeinträchtigung ab, verletzt es nicht nur das Gesetz (was gemäß § 23 StPO einzig die Generalprokuratur an den Obersten Gerichtshof heranzutragen vermag), indem es seinen in diesen Fällen auf Null reduzierten Ermessensspielraum (§ 107 Abs 3 zweiter Satz StPO) überschreitet, sondern – wie dargelegt – auch seinerseits das reklamierte Grundrecht.
Fallbezogen wendet sich die somit in Bezug auf die letztinstanzliche Entscheidung zulässige Grundrechtsbeschwerde inhaltlich ausschließlich gegen die Annahme eines die Festnahme rechtfertigenden Tatverdachts (§ 170 Abs 1 StPO). Die diesbezügliche Begründung kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren mit Blick auf die Bestimmung des § 10 GRBG nach ständiger Judikatur nur in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281a Abs 1 StPO angefochten werden. Indem sich die Beschwerde darauf beschränkt, den insoweit mängelfreien Überlegungen des Oberlandesgerichts Linz eigene Beweiswerterwägungen gegenüberzustellen, verfehlt sie daher den vom Gesetz vorgegebenen Anfechtungsrahmen.
Die Behauptung, der vom Oberlandesgericht angenommene Verdacht der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes sei nicht Grundlage für die Festnahme gewesen, entfernt sich von der Aktenlage.
Die begründungslos vorgetragene Beschwerdeprämisse, es seien keine Haftgründe gegeben gewesen, entzog sich mangels argumentativen Substrats einer sachbezogenen Erwiderung.
Soweit zulässig war die Grundrechtsbeschwerde daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 kam es zu einigen Änderungen:
Der Einspruch wegen Rechtsverletzung gem § 106 StPO konnte nur während der Dauer des Ermittlungsverfahrens erhoben werden. Nunmehr ist die Erhebung auch möglich, wenn Verletzungen im Ermittlungsverfahren stattgefunden hatten, das Ermittlungsverfahren aber schon beendet ist.
Der Einspruch ist jedoch nunmehr binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung eines subjektiven Rechts einzubringen. Durch diese Regel ist nun der inhaltlichen Prüfung eine jene der Rechtzeitigkeit vorgeschoben.
Die Frage der Kenntniserlangung wird insbesondere bei folgenden Maßnahmen erst möglich sein, wenn die Anordnung durch die Staatsanwaltschaft und deren gerichtliche Bewilligung dem Beschuldigten übermittelt wird: Verdeckte Ermittlung, Scheingeschäft und Observation.
Voraussetzung eines Einspruches ist die Verletzung eines subjektiven Rechts. Dies geschieht einerseits bei der Ausübung von Zwang andererseits handelt es sich um Rechte wie jenes auf Akteneinsicht, der Anerkennung als Partei des Strafverfahrens, das Beweisantragsrecht, das Recht des Beschuldigten auf einen Dolmetscher und allenfalls weitere Rechte, die sich aus den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen der StPO ableiten lassen, so zB der Objektivitätsgrundsatz.
Zu Letzterem: Schon aus dem – verfassungsmäßig durch Artikel 6 Abs 1 MRK vorgegebenen – einfachgesetzlich in § 3 StPO geregelten Grundsatz der Objektivität lässt sich ein subjektives Recht des Beschuldigten auf Einhaltung aller Bestimmungen der StPO, die für eine objektive und vollständige Aufklärung des Falls sorgen sollen, ableiten (OLG Wien 22 Bs 176/12m).
Hinsichtlich des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist umstritten, ob eine Verletzung dieses Grundsatzes mittels Einspruches gem § 106 StPO aufgegriffen werden kann.