Der Beschwerdeführer, ein EU-Bürger, wurde wegen mehrerer Ladendiebstähle, die er gewerbsmäßig begangen hatte, zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, davon fünf unbedingt verurteilt.
Das Bundesamt für fremdenwesen und Asyl hatte deshalb ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren verhängt.
Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde stattgegeben und der Bescheid aufgehoben.
Im Wesentlichen begründete das Bundesverwaltungsgericht, dass
Der österreichische Gesetzgeber unterscheidet in den Bestimmungen des § 66 Abs 1 letzter Satz und § 67 Abs 1 FPG zwischen „normalen“, „schwerwiegenden“ und „zwingenden“ Ausweisungsgründen. Auch wenn § 66 Abs 1 letzter Satz FPG dem Wortlaut zufolge nur die Ausweisung betrifft, muss diese Bestimmung auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beachtet werden. Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich sowohl bei einem Aufenthaltsverbot als auch bei einer Ausweisung um „restriktive Maßnahmen“, die nur nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikel 27 und 28 der Freizügigkeitsrichtlinie zulässig sind.
Der Begriff „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ wird in Artikel 11 Abs 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichlinie) verwendet und in den Tatbeständen des § 53 Abs 3 FPG näher definiert. Eine solche „schwerwiegende Gefahr“ ist im Sinne der abgestuften Gefährdungsprognose (vgl VwGH vom 22. Februar 2011, 2008/18/0025) unterhalb der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ iSd Artikel 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie einzuordnen. Unter welchen Voraussetzungen „schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unbedingt erforderlich machen, ist im FPG nicht geregelt. Die Bestimmung des § 56 des Aufenthaltsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland kann aber als Orientierungsmaßstab herangezogen werden.
Da vom BF, der aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zu einem EU-Staat in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit zehn Jahren nicht erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs 1 Satz 2 FPG und nicht § 67 Abs 1 Satz 4 FPG für Unionsbürger zu Anwendung.
Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Die belangte Behörde hat grundsätzlich und zutreffend den § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen. Sie ist auch Richtigerweise davon ausgegangen, dass für die Erstellung der Gefährdungsprognose nicht der Maßstab des vierten Satzes – der eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik verlangt – anzuwenden war, weil ja der BF seinen Aufenthalt noch nicht seit 10 Jahren im Bundesgebiet hatte.
Die belangte Behörde hat es jedoch vollkommen unterlassen hinreichende Ermittlungsschritte anzustrengen bzw. herbeizuschaffen die es ermöglichen würden eine Gefährderprognose erstellen zu können. Im Verwaltungsakt befindet sich lediglich der Beschluss über die Untersuchungshaft sowie eine Strafkarte des Landesgericht. Im Akt befindet sich kein Gerichtsurteil und keine Strafregisterauskunft betreffend des BF. Eine Prognoseentscheidung hat die belangte Behörde offensichtlich auf Grund des Beschlusses über die Untersuchungshaft getroffen. Die belangte Behörde hat offensichtlich das Strafurteil weder gesehen noch gelesen und konnte sie sich über den Tathergang, die Bewegungsgründe des Strafgerichts bezüglich verhängte Strafe (Strafbemessungsgründe) nicht in ihre Beurteilung miteinbezogen werden. Das war auch der Grund dafür, dass die belangte Behörde in ihrem Bescheid gar keine nachvollziehbare Gefährderprognose getroffen hat. Die belangte Behörde stellt dem BF zur Last liegende und den Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildete Straftat im angefochtenen Bescheid nur dem Beschluss über die Untersuchungshaft des Strafgerichtes folgend dahin fest, dass lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen, die verhängte Strafen angeführt wurden. Das reicht jedoch nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose. Es wären konkrete Feststellungen zu den einzelnen, die Verurteilungen des BF zugrunde liegenden Straftaten zu treffen gewesen. Die belangte Behörde führt in ihrem Bescheid immer wieder die Verurteilung wegen des Verbrechens und die 15 monatige Freiheitsstrafe an. Richtig ist jedoch, dass der BF kein Verbrechen sondern ein Vergehen begangen hat und des Weitern wurde der überwiegende Teil von 10 Monaten bedingt nachgesehen auch diese Tatsache wurde von der belangten Behörde vollkommen ignoriert. Des Weitern ist es überhaupt nicht nachvollziehbar warum die belangte Behörde bei einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten die höchstmöglichen Zeitrahmen von 10 Jahre Aufenthaltsverbot verhängt.
Mit Blick auf die Verwaltungsverfahren geltenden Grundsätze, insbesondere jenes der Offizialmaxime und der materiellen Wahrheit, wonach die belangte Behörde zur amtswegigen Ermittlung des verfahrensrelevanten Sachverhaltes verpflichtet ist, wäre es der belangten Behörde aufgrund ihrer mangelhaften Ermittlungen sohin verwehrt gewesen, den gegenständlichen Sachverhalt als im Sinne eines umfassenden Ermittlungsverfahrens hinreichend geklärt anzusehen. Insofern erweist sich die verfahrensgegenständliche Entscheidung der belangten Behörde als sachlich nicht hinreichend begründet und sohin mangelhaft. Wie die belangte Behörde zu den Feststellungen gelangte, dass der BF im Bundesgebiet keine Familienangehörige, keine Privatleben usw. hat obwohl der BF nie eine Stellungahme abgegeben hat und von der belangten Behörde – obwohl leicht möglich – nie niederschriftlich einvernommen wurde, entzieht sich der Kenntnis des Gerichtes.
Aus Sicht des Gerichts verstößt das Vorgehen der belangten Behörde im konkreten Fall somit gegen die determinierten Ermittlungspflichten, wonach diese den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen hat.
Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des BFA und das diesem zugrunde liegende Verfahren aufgrund der Unterlassung der notwendigen Ermittlungen zu wesentlichen Punkten und hinreichender Begründung somit als mangelhaft zu bewerten. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde weder als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren vor dem Bundesamt mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Bundesverwaltungsgericht zu tätigen. In Anbetracht des Umfanges der noch ausstehenden Ermittlungen würde deren Nachholung durch das erkennende Gericht ein Unterlaufen der vorgesehenen Konzeption des Bundesverwaltungsgerichtes als gerichtliche Rechtsmittelinstanz bedeuten. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Zusammenfassend ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie die für die Begründung des Bescheides erforderliche Sorgfalt vermissen lässt und dieser damit nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer negativen behördlichen Entscheidung entspricht.
Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid des BFA zu beheben und die gegenständliche Rechtssache an das BFA als zuständige erstinstanzliche Behörde zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird in dem neuerlich zu führenden Verfahren, bezughabende Ermittlungsschritte, insbesondere wird sie das Gerichtsurteil anfordern müssen um überhaupt eine Gefahrenprognose erstellen zu können. Die belangte Behörde wird nach weiteren Ermittlungsschritte und nach hinreichender Beweiswürdigung rechtlich zu würdigen haben ob vom BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgeht die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Sie wird daher die nur 5-monatige Freiheitsstrafe, die Delikte – Ladendiebstähle – miteinfließen lassen müssen.