Der Pkw-Lenker fuhr in einiger Entfernung vor einem Zug einer Lokalbahn im linken Fahrstreifen, zwischen ihnen befanden sich keine anderen Fahrzeuge. Er beabsichtigte, nach links einzubiegen. Dabei betätigte er in Annäherung an die Kreuzung den linken Blinker, reduzierte die Geschwindigkeit und ordnete sich auf dem von ihm befahrenen linken Fahrstreifen zum Linksabbiegen ein. Da Gegenverkehr herrschte, war es dem Pkw-Lenker nicht möglich, wie beabsichtigt, abzubiegen. Er hielt im Kreuzungsbereich sein Fahrzeug in einem Schrägzug an, um den Gegenverkehr abzuwarten. Dabei ragte der Pkw bereits teilweise in die Gegenfahrbahn. Da er im Rückspiegel den Zug der Lokalbahn herannahen sah, versuchte er, die Gleise zu räumen. Er rollte, soweit es ihm der Gegenverkehr ermöglichte, in den linken Fahrstreifen der Gegenfahrbahn ein und hielt neuerlich an. Wegen des Gegenverkehrs konnte er jedoch dabei die Gleise nicht zur Gänze verlassen.
Die Sichtweite des Zugführers zur Unfallstelle betrug zumindest 140 m. Als der Pkw-Lenker den Blinker gesetzt hatte, war der Zug noch rund 80 m von seinem Pkw entfernt. Der Zugführer nahm den Pkw erst wahr, als es sich auf dem linken Fahrstreifen mit der Front im Bereich des Endes der doppelten Sperrlinie links blinkend beinahe im Stillstand befand. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Entfernung des Zuges zum Pkw knapp 50 m und der Zugführer hätte den Zug aus seiner Geschwindigkeit von 43 km/h mit einer etwas stärkeren Betriebsbremsung noch kollisionsfrei hinter dem Pkw anhalten können. Er fasste seinen Bremsentschluss jedoch zu spät, sodass es zur Kollision des Zuges im Bereich vorne links mit der rechten hinteren Ecke des Pkw kam, wodurch beide Fahrzeuge beschädigt wurden. Mangels Sichtbehinderung wäre es dem Zugführer möglich gewesen, den Gegenverkehr wahrzunehmen.
Der Betreiber der Lokalbahn hatte den Pkw-Lenker geklagt, begehrte den Ersatz des am Triebwagen entstandenen Schadens und brachte vor, für den Pkw-Lenker habe, nachdem er aus seiner zum Linksabbiegen eingeordneten Anhalteposition losgefahren sei, kein Grund für ein nochmaliges Anhalten bestanden. Das Abbrechen des Einbiegemanövers und nochmalige Stehenbleiben sei für den Zugführer nicht vorhersehbar gewesen. Das Alleinverschulden treffe den Pkw-lenker, der entgegen § 28 Abs 2 StVO die Gleise nicht so rasch wie möglich verlassen habe, um dem Schienenfahrzeug Platz zu machen, zumal dafür keine Hindernisse (wie etwa entgegenkommende Fahrzeuge) bestanden hätten.
Der Pkw-lenker und die Versicherung wendeten ein, der Pkw-Lenker habe den von ihm gelenkten PKW ordnungsgemäß auf den Schienen zum Linksabbiegen eingeordnet. Zu diesem Zeitpunkt sei der sich von hinten nähernde Straßenbahnzug noch außerhalb des Sichtbereichs des Pkw-Lenkers gewesen. In der Folge sei dem Pkw-Lenker das Einbiegen nach links und das Räumen des Schienenbereichs aufgrund des herrschenden Gegenverkehrs nicht möglich gewesen. Das Alleinverschulden an der Kollision treffe den Zugführer, weil dieser auf das vor ihm befindliche Fahrzeug zu spät mit einer Bremsung reagiert habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Zugführer habe verabsäumt, seine Geschwindigkeit angesichts des links abbiegenden Pkw so rechtzeitig anzupassen, dass es ihm möglich gewesen wäre, kollisionsfrei anzuhalten. Er habe überdies damit rechnen müssen, dass der Pkw-Lenker, der das Fahrzeug nach dem Anhalten noch ein Stückchen vorrollen ließ, infolge des Gegenverkehrs nochmals im Lichtraumprofil des Straßenbahnzugs werde anhalten müssen. Die Verpflichtung des § 28 Abs 2 StVO bestehe nur dann, wenn dem anderen Verkehrsteilnehmer das Verlassen der Gleise verkehrsbedingt möglich sei. Das sei beim Pkw-lenker nicht der Fall gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Es erörterte in rechtlicher Hinsicht, § 28 Abs 2 StVO sei keine Verpflichtung dahin zu entnehmen, dass ein PKW-Lenker, der sein Fahrzeug ordnungsgemäß auf den Schienen zum Linksabbiegen eingeordnet habe, seine Linksabbiegeposition aufgeben müsse, um einem sich von hinten nähernden Schienenfahrzeug Platz zu machen. Der Pkw-Lenker hätte daher nicht geradeaus auf der Straße weiterfahren müssen, als sich der Zug der Lokalbahn von hinten genähert habe. Im Versuch des Pkw-Lenkers, den Gleisbereich zu räumen, indem er das Fahrzeug so weit wie möglich in den Bereich der Gegenfahrbahn hineinrollen lassen habe, sei kein Mitverschulden zu erblicken.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es im Hinblick auf die Entscheidung 2 Ob 222/06w einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe, ob ein Fahrzeuglenker, der seinen PKW auf einem sowohl zum Linksabbiegen als auch zum Geradeausfahren bestimmten Fahrstreifen ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet habe, von seinem Vorhaben Abstand nehmen und geradeaus weiterfahren müsse, wenn sich von hinten ein Schienenfahrzeug nähere und der Gegenverkehr ein Linksabbiegen nicht zulasse.
Der OGH hat dazu erwogen:
Der Vertreter der Lokalbahn macht geltend, der Pkw-Lenker hätte seine Fahrt in gerader Richtung fortsetzen müssen, nachdem ihm das beabsichtigte Linksabbiegen bis zum Herannahen des Zuges der Lokalbahn nicht möglich gewesen sei. Dies wäre ohne Fahrstreifenwechsel und ohne Missachtung von Bodenmarkierungen möglich gewesen. Der Pkw-Lenker wäre dadurch weder zu einem vorschriftswidrigen noch zu einem gefährlichen Fahrmanöver gezwungen gewesen. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung 2 Ob 222/06w im Zusammenhang mit einem Einparkmanöver bereits ausgesprochen, dass die dortige PKW-Lenkerin ihre Fahrt vorwärts fahrend fortsetzen hätte müssen, wenn ihr bis zum Zeitpunkt, in dem das Schienenfahrzeug als herannahend zu qualifizieren gewesen wäre, das Einparken in die Parklücke nicht möglich gewesen sei. Diese Grundsätze ließen sich auf den gegenständlichen Fall übertragen.
Im Endeffekt entscheid der OGH: Ist dem zum Linksabbiegen auf den Straßenbahngleisen eingeordneten PKW-Lenker bei Herannahen des Schienenfahrzeugs ein Verlassen der Schienen in seine Fahrtrichtung nach links aufgrund des Gegenverkehrs nicht möglich, besteht keine Verpflichtung des Lenkers, seine Fahrtrichtung zu ändern und geradeaus weiterzufahren. Die Bestimmungen des § 28 Abs 2 StVO, wonach beim Herannahen eines Schienenfahrzeuges andere Straßenbenützer die Gleise so rasch wie möglich zu verlassen haben und unmittelbar vor und nach dem Vorüberfahren eines Schienenfahrzeuges die Gleise nicht überquert werden dürfen, begründet keine Vorrangregel.
Achtung jedoch beim Einparken:
Ist einem PKW-Lenker das beabsichtigte Reversieren in die Parklücke bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Schienenfahrzeug als herannahend im Sinn des § 28 Abs 1 erster Halbsatz StVO zu qualifizieren ist, nicht möglich, ist die Fahrt vorwärtsfahrend fortzusetzen. Die Pflicht, die Gleise möglichst rasch zu verlassen, bedeutet nämlich, dass der zur Räumung Verpflichtete in seine Fahrtrichtung weiterfahren muss, sofern es die Verkehrslage zulässt.
https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2530397210383327&id=495836803839388&__xts__[0]=68.ARBmui_vQWO4ICyASS1cNxhNXLIceffWfQkelaDrc9Y5c74NYv6xoU4TpchTPfYKUW-5OUEDmii8xOhJf0pHnFLdIDmTSp6bhT_IiHbo8pzBrAmCE031x5uajpnTnAncjfHPQn6KkWDfwRFYPZ24hda4SQ2Ulv_BdPhdfRbwb0t6T-8dMmVR45eVPQn7ZtI8YNNr69SLKysDNeoHoNP4-cVE8COQglLKKqrvdWkn56ncVJf2Vy67NVMF2rryn6vOhgK5WMrI32UrHw-modcN22ZZ_Z5QdGC6gFQGdCUdJo7xA04X-lAgKgL01FN7JebrFzC5OA-Jvd2IRWSzg-AShQ&__tn__=C-R