Ein Anwalt für den Notfall: Unsinn oder sinnvoll?
Soll ein Anwalt für einen Notfall herangezogen werden oder ist dies ein Unsinn? Dazu müssen zuerst einige Begriffe geklärt werden.
Notfall
Was ist überhaupt ein „Notfall“. Wie im Leben beziehungsweise bei Menschen üblich, ist eine Notsituation für jeden Menschen etwas anderes. Beispielhaft ist der tiefe Schnitt in den Finger für den einen ein Notfall, da er meint zu verbluten und zu sterben. Für einen anderen ist dies kein Notfall, da er weiß, daran nicht zu sterben, weshalb er andere, ihm wichtigere nächste Schritte vorzieht.
In der Juristerei, insbesondere in der Strafjustiz, ist es für manche ein „Notfall“, wenn jemand festgenommen oder verhaftet wird. Diverse Ängste, und/oder vor allem Unwissenheit, lassen von einem solchen Fall ausgehen.
Auch unangekündigte Hausdurchsuchungen, und solche sind fast immer unangekündigt, werden als „Notfall“ empfunden.
Die Praxis
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Familienangehörige oder auch die Polizei einen Rechtsanwalt telefonisch kontaktieren, wenn jemand festgenommen wurde, der einen Anwalt sprechen möchte.
Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) hat einen Verteidigernotruf für solche Fälle eingerichtet. Diese Einrichtung ist grundsätzlich zu begrüßen. In manchen Fällen schreibt das Gesetz sogar vor, dass einer Vernehmung eines Beschuldigten ein Verteidiger beizuziehen ist. In einem solchen Fall ist die Beiziehung eines Verteidigers tatsächlich „notwendig“ – jedoch aus rechtlichen Gründen. https://www.ris.bka.gv.at
Sinnhaftigkeit
Zu fragen ist jedoch, ob auch aus praktischen Gründen ein notfallsbedingtes Engagement eines Verteidigers in der Situation einer Festnahme oder Verhaftung sinnvoll ist. Sehen Sie dazu hier: https://rechtsanwalt-strobl.at/2020/10/07/heroin-und-kokain-handel-anwalt-sinnvoll/
In der Praxis könnte dies grundsätzlich, und für viele wohl überraschend, mit „Nein“ beantwortet werden. Warum? – Dazu ist Folgendes zu erwägen: Zumeist entstehen Vorwürfe gegen Beschuldigte über einen längeren Zeitraum – nicht von Sekunde auf Sekunde. Jemand erstattet eine Anzeige, die Polizei beginnt mit ersten Nachforschungen; verdichtet sich der erste Verdacht, werden die Ermittlungen intensiviert; vielleicht wird dann auch bereits die Staatsanwaltschaft eingeschaltet etc. Mit anderen Worten: Es gibt bereits einen Akt, der etliche „Ergebnisse“ (Beweismittel etc) enthält. Mitunter besteht ein solcher Akt aus mehreren hundert oder gar tausend Seiten.
Wird nun in der Praxis vom Beschuldigten beziehungsweise dessen Familienangehörigen ein Verteidiger beigezogen, müsste er zuerst ein umfassendes Aktenstudium betreiben und die daraus gewonnen Erkenntnisse seinem Mandanten zur Kenntnis bringen. Dann müsste der Verteidiger (Rechtsanwalt – der jedenfalls auf Strafrecht spezialisiert sein sollte) seinen Mandanten, den Beschuldigten, umfassend über die Rechtslage aufklären. Dies alles ist in der kurzen, zur Verfügung stehenden Zeit, unter den konkreten Umständen (auf irgendeinem Polizeirevier zwischen Tür und Angel) unmöglich. – Daher wird aus diesem, rein praktischen, Grund, dem Beschuldigten geraten werden müssen, die Aussage, zumindest vorerst, zu verweigern.
Da die Polizei den Beschuldigten umfassend zu belehren hat, wird ihm auch dieses Recht zur Kenntnis gebracht. Der Beschuldigte braucht dies Recht bloß in Anspruch nehmen.
Praktisch sinnvoll
Die meisten Beschuldigten wissen dies jedoch nicht. Auch glauben sie, dass sie sich vom Vorwurf „herausreden“ könnten. Beschuldigte sind in der Vernehmungssituation nervös, gestresst und oft auch verängstigt. Sie wissen oft auch nicht, ob es Konsequenzen haben wird, wenn sie nicht aussagen. So glauben sie oft, dass sie im Falle der Verweigerung der Aussage in Haft kämen.
Um den Beschuldigten all diese Ängste zu nehmen und sie umfassend aufzuklären, ist es daher sinnvoll, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen. – Dies jedoch auch nur um die Aussage zu verweigern. Deshalb hatte ich vorhin die Sinnhaftigkeit einen Anwalt beizuziehen verneint. Denn um die Aussage zu verweigern, bedarf es eigentlich noch keines Verteidigers. Dies setzt jedoch voraus, dass der Beschuldigte einigermaßen informiert beziehungsweise erfahren ist. Von letzteren Umständen ist jedoch grundsätzlich nicht auszugehen.
Telefonischer Kontakt? Jedenfalls!
Ein Beschuldigter sollte jedenfalls darauf bestehen, mit einem Verteidiger bzw Rechtsanwalt sprechen (telefonieren) zu dürfen. Ohne großen Aufwand für alle Beteiligten zu betreiben, ist dies immer möglich. Die Lösung ist genau wie vorhin beschrieben: Der Verteidiger sollte dem Beschuldigten raten, nicht zur Sache auszusagen.
Fazit: SCHWEIGEN SIE!
Der Leitfaden für die Praxis ist daher Folgender:
Wenn Sie überraschend festgenommen werden und sich zu Vorwürfen äußern sollen, SCHWEIGEN SIE! Ersuchen Sie die Polizei einen (am Besten Ihren) Verteidiger und einen Familienangehörigen telefonisch zu kontaktieren.
Der Verteidiger rät ohnehin im Regelfall die Aussage zu verweigern. Daher ist keine Hektik angebracht.
Ein Anwalt für den Notfall: Unsinn oder sinnvoll?
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Ein Anwalt für den Notfall: Unsinn oder sinnvoll?