Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Dafür aber müssen die die Aufrichtigkeit von Zeugen angeblich ernsthaft in Frage stellenden, gleichwohl unerörtert gebliebenen Tatumstände deutlich und bestimmt bezeichnet werden.
Angesichts dessen, dass Aussage gegen Aussage steht und bislang keine objektiven Verfahrensergebnisse zur Beurteilung der Frage verfügbar sind, welcher Darstellung die höhere Glaubwürdigkeit gebührt, verdienen auch bloß im Vorfeld des Tatgeschehens gelegene Begleitumstände erhöhte Beachtung. Der Behauptung des Vorliegens von solche Begleitumstände betreffenden Unwahrheiten in den Angaben der einzigen Belastungszeugin kommt daher entscheidungserhebliche Bedeutung zu, weshalb die Ablehnung des Antrages, die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben dieser Zeugin einer Überprüfung und Kontrolle zu unterziehen, Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO begründet.
In einem aktuellen Fall, OGH 23.04.2014, 15 Os 24/14i, wurden diese Grundsätze wie folgt angewandt:
Das Erstgericht ging in Bezug auf die Aussagen der Zeugin davon aus, diese seien „in dem die Feststellungen betreffenden Kernbereich […] übereinstimmend und schlüssig“ gewesen, die -bei den mehrmaligen Vernehmungen zu Tage getretenen -„Widersprüchlichkeiten in Randbereichen“ hätten die Glaubwürdigkeit der Genannten erhöht und habe diese dadurch den Eindruck hinterlassen, dass sie „Reales und nicht einfach Gelerntes stereotyp wiedergab“. Daraus schlossen die Tatrichter in Zusammenhalt mit dem Umstand, dass die Zeugin „bei Gericht einen guten und um Wahrheit bemühten Eindruck“ hinterließ, auf die Wahrheit deren Angaben, zumal auch der psychiatrisch-neurologische Sachverständige die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit der Genannten nicht in Frage stellte.
Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zeigt hiezu zutreffend auf, dass sich die Tatrichter nicht mit jenen Angaben der Zeugin in ihrer Vernehmung von einem Zeitpunkt zuvor auseinandergesetzt haben, wonach sie „ab diesem Zeitpunkt“ (als sie in ihrer Wohnung am Fußboden im Wohnzimmer liegend vor Beginn der inkriminierten Tathandlungen des Angeklagten munter geworden ist) das Gefühl gehabt habe, „in Trance“ zu sein, sich nicht genau daran erinnern könne, „was dann passiert ist oder nicht“, und auch nicht wisse, „ob sie die ganze Sache geträumt hat oder nicht“, was sie aber nicht glaube, weil ihr „alles so real vorgekommen“ sei und sie „das so wahrgenommen“ habe.
In diesem Zusammenhang hat es das Erstgericht auch verabsäumt, sich mit jenen Depositionen eines, für glaubwürdig erachteten, Zeugen auseinanderzusetzen, wonach das Opfer, bereits auf dem Weg zur Polizei (sohin unmittelbar nach der inkriminierten Tat) Zweifel bezüglich einer Vergewaltigung geäußert habe („Wir haben unterwegs im Auto darüber gesprochen und da hat sie auf einmal diese Zweifel bekommen. Da hat sie das erste Mal zu mir gesagt: ‚Was ist, wenn ich mich jetzt doch täusche?“).
Diese erheblichen, den den Schuldspruch tragenden Feststellungen entgegenstehenden und in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse haben die Tatrichter unerörtert gelassen, was die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft macht (Z 5 zweiter Fall).