In einem Verfahren vor einem Bezirksgericht legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten ein als „die Vergehen“ des Diebstahls nach § 127 StGB subsumiertes Verhalten zur Last:
Danach habe er
1. mit der Bankomatkarte einer Person von deren Konto insgesamt 1.240 Euro mit dem Vorsatz abgehoben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
2. mit dem Tankschlüssel einer Person um den Gesamtbetrag von 188 Euro mit dem Vorsatz getankt, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.“
In der Folge bezog das Bezirksgericht zwei weitere Verfahren in das gegenständliche Verfahren ein, in denen die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten Strafantrag wegen dem Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB unterstellte Taten und wegen eines als Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB beurteilten Verhaltens gestellt hatte.
In der Hauptverhandlung im Juli 2016 schloss sich die Person im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeuge dem Verfahren mit 1.428 Euro als Privatbeteiligter an. Zur Einvernahme weiterer Zeugen wurde die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.
Dem Verhandlungstermin im September 2016 blieb der Angeklagte trotz eigenhändiger Übernahme der Ladung unentschuldigt fern. Das Bezirksgericht beschloss daraufhin die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten und vernahm zwei Zeugen zum Vorwurf des Strafantrags wegen § 146 StGB. Einer der Zeugen schloss sich dem Verfahren mit 200 Euro als Privatbeteiligter an. Anschließend wurde die Hauptverhandlung erneut auf unbestimmte Zeit vertagt.
Die fortgesetzte Hauptverhandlung im Oktober 2016 fand in Anwesenheit des Angeklagten statt.
Nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung wurden – mit Ausnahme eines Berichts der Bewährungshelferin – weder Verlesungen vorgenommen noch Aktenstücke vorgetragen. Ebenso wenig ist dem Protokoll eine Vernehmung des Angeklagten zu den geltend gemachten Privatbeteiligtenansprüchen zu entnehmen.
Mit Urteil des Bezirksgerichts vom Oktober 2016 wurde der Angeklagte anklagekonform „der Vergehen“ des Diebstahls nach § 127 StGB sowie je eines Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung von 200 Euro den einen Zeugen und von 1.428 Euro an den anderen Zeugen verurteilt. Mit unter einem gefassten Beschluss wurden die zu den mit Urteilen eines anderen Bezirksgerichts und eines Landesgerichts verhängten Freiheitsstrafen jeweils gewährten bedingten Strafnachsichten widerrufen.
In den Entscheidungsgründen wird ausdrücklich angeführt, dass Beweis aufgenommen wurde „durch … Strafregisterauskunft, Abschlussbericht Polizeiinspektion“.
Die Darstellung der Vorstrafenbelastung des Angeklagten im Urteil gründet sich ersichtlich auf dessen Strafregisterauskunft.
Die Feststellungen zum Schuldspruch II stützte das Erstgericht unter anderem auf die vor der Polizei getätigten Angaben des Zeugen sowie auf polizeiliche Erhebungsergebnisse, die in den oben angeführten Abschlussberichten der Polizeiinspektionen dargestellt sind.
Gegen das Urteil erhoben der Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Strafe.
Der OGH befand, dass im bezeichneten Verfahren das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt wurde:
1. Gemäß § 32 Abs 1 erster Satz JGG iVm § 46a Abs 2 JGG sind in Strafverfahren gegen junge Erwachsene die Bestimmungen über das Abwesenheitsverfahren nicht anzuwenden. Ist der Angeklagte zur Hauptverhandlung nicht erschienen, so ist diese zu vertagen (§ 32 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz JGG iVm § 46a Abs 2 JGG). Die Durchführung der Hauptverhandlung im September 2016 in Abwesenheit des zu diesem Zeitpunkt erst achtzehnjährigen Angeklagten (vgl § 1 Z 5 JGG) war daher nicht zulässig.
2. Nach § 245 Abs 1a StPO, der gemäß § 447 StPO auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgericht gilt, ist der Angeklagte über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Erklärung aufzufordern, ob und in welchem Umfang er diese anerkennt. Bei der vom Gesetz verlangten Vernehmung handelt es sich um ein der Gewährleistung des beiderseitigen rechtlichen Gehörs dienendes Erfordernis, ohne dessen Beachtung ein Zuspruch an den Privatbeteiligten nicht erfolgen darf. Der Zuspruch an die zeugen (Privatbeteiligten) ohne vorangegangene Vernehmung des Angeklagten verletzt daher das Gesetz.
3. Nach den gemäß § 447 StPO auch im bezirksgerichtlichen Strafverfahren geltenden Bestimmungen des § 12 Abs 2 StPO und des § 258 Abs 1 StPO hat das Gericht bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Aktenstücke können nur insoweit als Beweismittel dienen, als sie in der Hauptverhandlung vorgelesen oder vom Vorsitzenden vorgetragen (§ 252 Abs 2a StPO) worden sind. Vorgekommen ist ein Beweismittel dann, wenn es prozessordnungsgemäß in die Verhandlung eingeführt wurde. Vorhalte bei der Vernehmung des Angeklagten gemäß § 245 StPO bewirken noch kein „Vorkommen“ (iSd § 258 Abs 1 StPO) der betreffenden Aussagen in der Hauptverhandlung.
Die Verwertung des Inhalts der Abschlussberichte der Polizeiinspektionen, des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen sowie der Strafregisterauskunft im Urteil war daher nicht zulässig.
4. Nach dem Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB bilden alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen oder jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein, bei der rechtlichen Beurteilung eine Subsumtionseinheit. Die Annahme zweier Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB im Urteil vom Oktober 2016 war daher verfehlt.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Auf diese Entscheidung waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufungen, Letzterer auch mit seiner impliziten Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) zu verweisen.
Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang blieb anzumerken:
1. Der Gewahrsam am Geldinhalt von Bankomaten steht Mitarbeitern des jeweiligen (automatenaufstellenden) Bankinstituts, nicht aber dem Codekarteninhaber zu, der daran auch keinen Mitgewahrsam, sondern lediglich ein ihm von seiner (kontoführenden) Bank eingeräumtes (eingeschränktes) Geldbezugsrecht besitzt.
2. Ausgehend von den Feststellungen zum Schuldspruch II, wonach der Angeklagte mit deliktspezifischem Vorsatz jeweils beide Kennzeichentafeln von den PKW der beiden Zeugen abnahm, hat der Angeklagte mehrere Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB verwirklicht.
3. Die Berücksichtigung (auch) generalpräventiver Erwägungen bei der Entscheidung über den Widerruf bedingter Strafnachsichten nach § 53 Abs 1 StGB ist verfehlt.
Der OGH kam in seinem Urteil zu folgendem Schluss (Spruch):
Im Strafverfahren des Bezirksgerichts verletzen
1. die Durchführung der Hauptverhandlung vom September 2016 in Abwesenheit des jugendlichen Angeklagten § 32 Abs 1 erster Satz JGG iVm § 46a Abs 2 JGG;
2. die in der Hauptverhandlung im Oktober 2016 ergangene Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche ohne zuvor erfolgte Vernehmung des Angeklagten hiezu und an ihn gerichtete Aufforderung zur Erklärung über ein allfälliges Anerkenntnis § 245 Abs 1a StPO iVm § 447 StPO;
3. die Verwertung des in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenen Inhalts von Aktenstücken, nämlich der Abschlussberichte der Polizeiinspektionen, des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen sowie der Strafregisterauskunft im Urteil vom Oktober 2016 § 12 Abs 2 und § 258 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO;
4. das Urteil vom Oktober 2016 in der Subsumtion der in den Punkten I.1 und 2 bezeichneten Taten gesondert als (zwei) Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB § 29 StGB.
Es werden das genannte Urteil sowie demzufolge der unter einem gefasste Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht verwiesen.
In der Zwischenzeit wurde die Verfolgung dieser Taten seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt, da der Angeklagte wegen anderer, schwererer Taten von einem Landesgericht verurteilt wurde.