Der Angeklagte wurde zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er mit einer Pistole im Zuge einer Auseinandersetzung auf offener Straße auf einen unbewaffneten Kontrahenten drei Schüsse gegen Kopf und Oberkörper abgab und dabei den Angreifer durch einen Streifschuss verletzte. Durch die Schüsse entstand jedoch ein „Querschläger“ der eine weitere Person im Bauch traf, wodurch dieser einen Bauchdurchschuss erlitt.
Das Geschworenengericht kam zur Überzeugung, dass der Angeklagte den Kontrahenten durch die Schüsse aus kurzer Distanz töten wollte, weshalb es den Angeklagten schuldig sprach, einen Mord versucht zu haben und hinsichtlich des mit dem Bauchdurchschuss Verletzten wegen fahrlässiger Körperverletzung zu insgesamt 20 Jahren Freiheitsstrafe.
Da der Angeklagte mit dem Urteil nicht einverstanden war und Rechtsmittel anmeldete, wurde ich beauftragt, leider erst im Rechtsmittelverfahren, ein Rechtsmittel auszuführen.
In der Berufung wegen des Ausspruches über die Strafe wurde umfassend erläutert, was das Gericht als mildernd werten hätte können. Gerade bei den Milderungs-, aber auch bei den Erschwerungsgründen, besteht ein weit verbreiteter Irrtum: Der Gesetzgeber hat in den Bestimmungen des Strafgesetzbuches, §§ 33 und 34 StGB, bereits als Überschriften ausdrücklich die Bezeichnungen „Besondere Erschwerungsgründe“ und „Besondere Milderungsgründe“ gewählt. Für den guten Juristen ist bereits daraus erkennbar, dass es neben „besonderen“ auch „nicht besondere“ Milderungs- und/oder Erschwerungsgründe geben muss, sonst hätte der Gesetzgeber dieses Wort nicht verwendet.
Leider wird in der Praxis dieser Umstand jedoch weitgehend negiert. Selbst eine intensive Befassung mit den im Gesetz verankerten Milderungs- und Erschwerungsgründen ist selten, da sie viel zu wenig ausgewogen am konkreten Sachverhalt, am Leben des Täters und den Begleitumständen der Tat, Verhalten vor und nach der Tat, unter Berücksichtigung der Überlegungen und Vorgaben des Gesetzgebers, die sich in den sogenannten Gesetzesmaterialen finden, angewendet werden.
In der Praxis zeigt sich sogar, dass Rechtsmittel von manchen zur Entscheidung oder auch zur Erwiderung zu einem Rechtsmittel Berufenen nicht einmal gelesen werden. Das zeigt sich zB darin, dass – trotz ausdrücklicher Erwähnung in einem Rechtsmittel, dass eine Vorstrafe nach dem Suchtmittelgesetz selbstverständlich für ein Delikt, das sich gegen Leib und Leben gerichtet hat, einschlägig ist – das Gericht sich bemüßigt fühlt, auf diesen, ohnehin bereits erwähnten, Umstand belehrend hinzuweisen, bloß weil vom Rechtsmittelwerber als mildernd, und zwar im oben genannten Sinne, eines allfälligen „nicht besonderen“ Milderungsgrundes, ins Treffen geführt wurde, dass es dennoch ein Unterschied ist, ob jemand bereits wegen einer Tat verurteilt wurde, die auch eine tatsächliche gegenüber einem Menschen ausgeführte Gewalthandlung war oder eben bloß darin besteht, jemandem Suchtmittel zu überlassen, die eventuell einen Schaden beim Konsumenten hervorrufen.
Eine Bereitschaft Recht fortzuentwickeln ist jedenfalls in einem solchen starren, unreflektierten Anwenden einzelner Gesetzesstellen nicht zu erblicken.
Dennoch konnte im konkreten Fall die Reduktion der verhängten Freiheitsstrafe von 20 Jahren auf 17 Jahre erreicht werden, da zumindest der Umstand, dass es bei der Tat des versuchten Mordes eben bloß beim Versuch geblieben war und dadurch der Erfolgsunwert nicht als hoch einzustufen ist.